Das Berliner Fest der Filme geht in seine Schlussphase; wer wird die Preise, die silbernen und goldenen Bären gewinnen? Ein Film, der alle Preise aller Filmfestivals bekommen hat, weil er so gefühlsstark und so liebevoll die für immer vernichtete Welt des osteuropäischen Judentums vor Augen gemalt hat, dazu mit einer sehnsuchtsvollen Musik und dem brillianten Superstar mit Silberblick in der Hauptrolle, nämlich Barbra Streisand, war „Yentl“. Sie
erinnern sich an die Eingangsszenen:
Ein Pferdewagen voll mit Büchern rumpelt auf dem Kopfsteinpflaster einer kleinen Stadt zum Marktplatz hin, eine junge jüdische Frau blättert an einem Bücherstand begeistert in Lehr- und Gebetbüchern, bis der Verkäufer es bemerkt und entsetzt zu ihr eilt: Bücher für die Frauen sind auf der anderen Seite des Tisches, Kochbücher und dergleichen! Doch die Rabbinertochter will ein Rabbinatsstudium absolvieren; so muss sie sich, weil Studium und Beruf für Frauen verboten waren, als junger Mann ausgeben. Das hat eine Fülle komischer und rührender Ereignisse zur Folge, Liebesgeschichten und Lerngeschichten.
Ein turbulenter Film, für den Barbra Streisand unbeirrt lange Geld sammelte, wie Yentl unbeirrt Rabbinerin werden will Wir sehen das unentwegte Kommen und Gehen, heftiges Gestikulieren, sich türmenden Lehrbücher; hier ist ein Student eingeschlafen, dort raucht einer nervös eine Zigarette, andere wiegen sich vor und zurück, man hört das unendliche Rauschen des Studierens. Jetzt soll es nur um eine Szene gehen, um wenige Sätze eines Dialogs. Yentl kommt in dem aufgeregten Hin und Her des Lehrhauses mit anderen Studenten ins Gespräch; alle schwärmen von den großen und bedeutenden Lehrern, bei denen sie studiert haben. „Mein Lehrer“, sagt einer, „weiß auf jede Frage zehn Antworten.“ Und Yentl antwortet: „Mein Vater weiß auf jede Antwort zehn Fragen.“
Um dieser Szene willen hätte „Yentl“ einen weiteren Preis verdient, den des biblischen Studiums. Da geht es nicht um das Immer-schon-Gewusste, die zufriedene Harmonie. Nein, es beginnt mit den großen Fragen, wie „Adam, wo bist Du?“ und „Kain, wo ist dein Bruder?“ Ob Fragen nicht doch wichtiger als Antworten sind? Auf Fragen antwortet man in der jüdischen mit einer Gegenfrage. Warum? Warum nicht?