Heile mich, Gott, so werde ich heil!
Hilf mir, so ist mir geholfen!
Jeremia 17,14
„Sagen Sie mal A „ sagte der Doktor.
„Ganz ruhig liegen“, sagte die Röntgenassistentin.
„Richtig entspannen“, sagte der Internist bei der Magenspiegelung.
„Tief einatmen“, sagte der Lungenarzt.
„Das Bein gerade halten“, sagte die Krankengymnastin.
„Sie müssen nicht so ängstlich sein“, sagte der Chirurg.
„Sie müssen mehr trinken“, sagte der Urologe.
„Sie müssen aufhören zu trinken“, sagte der Therapeut.
„Sie müssen sich mehr bewegen“, sagte der Rheumatologe.
„Sie hätten früher kommen müssen“, sagte der Neurologe.
„Morgen geht’s nach Hause“, sagte der Stationsarzt.
„Gott sei Dank“, sagte der Patient.
Kranksein bedeutet, viel müssen und wenig dürfen. Und es betrifft niemand so sehr wie die Deutschen. Deutsche sind mit ihrem Gesundheitswesen unzufriedener als Amerikaner, Kanadier, Briten oder Neuseeländer. 58 Prozent von 4000 Befragten bezeichnen das eigene Befinden als schlecht. Wenn sich die Deutschen schlecht fühlen, verschafft ihnen der Arztbesuch nicht immer Erleichterung. In den Praxen der Mediziner geht ein seltsames Leiden um: Fast die Hälfte der Patienten hat Beschwerden, bei denen nichts Krankhaftes festgestellt wird. Magen, Darm, Herz, Kreislauf und der Rücken stehen im Mittelpunkt. Bekommen Patienten zu hören, sie hätten etwas, sind sie enttäuscht. Wird ihnen gesagt, sie hätten nichts, sind sie auch enttäuscht. Es gibt kaum noch Gesunde – nur Menschen, die nicht gründlich genug untersucht worden sind.
Vermutlich hängt das mit dem Gesundheitsverständnis zusammen: Gesundheit ist das reibungslose Funktionieren aller Teilmaschinchen einer höchstkomplizierten Großmaschine. Dass Menschen ihren Körper erleben, seelisch und sozial wahrnehmen, kommt in der biotechnischen Gesundheitssicht nicht vor. Gesundheit ist aber ein Zustand, in dem wir vergessen, dass wir gesund sind, sie ist nicht machbar und nicht herstellbar, sie stellt sich selbst her – in einer neuen Lebenssicht, einer guten Erfahrungen, in verlässlichen Begegnungen, in menschenfreundlicher Arbeit und gescheiter Muße.
Die Deutschen haben die kürzesten Wartezeiten, die größte Freiheit bei der Arztwahl, die besten Laborbefunde und sind am wenigsten zufrieden mit ihrer Medizin. Was ist geschehen?
Steckt hinter allem ein tiefer Wunsch nach Umsorgtsein? Eine tiefe Sehnsucht nach heilender Nähe? Wer will „mobbing“ mit Pillen bekämpfen? Magengeschwüre mit Tropfen?
Dass wir uns nicht falsch verstehen: Krankheit und Leid sind keine Domänen der Religion oder besonders gottesnah. Kommt einer in eine Buchhandlung und will ein Buch für einen Krankenbesuch kaufen: Fragt die Buchhändlerin: „Soll’s was Christliches sein oder geht’s dem Patienten schon besser?“
Nein, die Bibel streitet auf fast jeder Seite gegen Elend, Leiden und körperliche Not. „Heile du mich, Gott, so bin ich geheilt!“, was wie ein Klageruf angesichts der Gesundheitsreform klingt, ist nicht das Bekenntnis: „Hauptsache gesund!“ Als seien Schwerkranke, chronisch Kranke unfähig zur „Hauptsache Leben“ zu gelangen.
Dieser Ruf „Heile du mich!“ kommt aus dem Verlangen, dass die Kränkungen, das Krankmachende aufhören. In den SPIEGEL-Umfragen „Was glauben die Deutschen?“ gewinnt ein Satz stetig an Zustimmung: „Jesus hat Kranke geheilt“. Bei aller Vorsicht vor solchen Umfragen – darin spricht sich die starke Hoffnung aus: Das Leben Jesu mit Schwachen und Kranken, mit Tauben und Stummen, Blinden und Lahmen, Verwirrten und Verirrten kann zur Ermutigung werden für Menschen, die gekränkt werden, krank werden, klein gemacht, gedemütigt, geduckt werden. Dieses Klein gemacht-, das Geduckt- und Gedemütigt werden ahnt in der möglichen Begegnung mit Jesus und Gottes Gegenwart mehr Heil und Heilung als in den Laborwerten.
Die Zusammenfassung der gesamten Bibel hat im vorletzten Kapitel genau dies zum Inhalt:
„Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“