Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
Jesaja 43,1
„Hab keine Angst! Du bist nicht allein. Ich bin doch bei dir!“ Wie klingen diese Worte in Ihren Ohren? Was ist das für eine Stimme, die so redet?
Ich finde, es sei die Stimme einer Mutter, die ihr weinendes Kind tröstet. Das Kind ist in der Nacht aufgewacht. Es ist so dunkel. Und das Kind spürt: Ich bin allein. Es denkt: Vielleicht sind die Eltern fort, für immer fort? Und vielleicht wird es niemals wieder hell! Und es beginnt zu weinen. Aber dann hört das Kind diese Stimme: Hab keine Angst. Ich bin doch bei dir. Es ist alles gut!“ Und das Kind lässt sich die Tränen abwischen und trösten. So höre ich dieses biblische Wort. So als ob da eine Mutter mit ihrem geängstigten Kind redet. Nur waren das damals und dort, wo diese Worte ihren Ursprung haben, keine Kinder. Es waren Erwachsene. Und die sind schwerer zu trösten als Kinder. Aber schreckliche Angst hatten sie ebenfalls. Auch sie meinten, sie seien ganz allein, gottverlassen allein. Und es werde nie wieder hell. Wie diesen Leuten zumute war, können wir uns vorstellen, wenn wir an die Bilder aus den Kriegsgebieten denken und das Leid der heimatlos Gewordenen sehen. So fühlten sich die aus ihrer Heimat vertriebenen und ins ferne Babylon verschleppten Israeliten, Leute, die mitten in der Angst steckten und dachten: Gott hat uns verlassen. Sie also, nicht wir, hörten vor langer Zeit als erste diese Worte:
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, bei deinem Namen habe ich dich gerufen. Mein bist du.“ Wie die Stimme einer Mutter klinge das, sagte ich. Bei Gott sind wir ja gewohnt, nicht an eine Mutter, sondern an einen Vater, einen HERRN zu denken. Aber auch in der Bibel heißt es: „Gott wird euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet!“. Es ist ja töricht, Gott auf ein bestimmtes Geschlecht festzulegen. Auch bei uns sind die Grenzen zwischen Väterlichem und Mütterlichem schon lange nicht mehr so starr – (….) auch Väter entwickeln mütterliche Fähigkeiten…
Der verzweifelte Haufen im Exil in Babylon hat über diese mütterlich tröstliche Gottesstimme nicht gelacht, sie haben diese liebevolle Gottesstimme nicht für verrückt erklärt, sie haben sich die Furcht nehmen lassen, nicht alle, natürlich, aber doch manche. Sie hörten „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Mein bist du!“ und die Angst, die Starre, die Lähmung lösten sich. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; mein bist du!“ – Das ist so, wie wenn uns einer im Dunklen an die Hand nimmt, wie wenn wir an einem Kranken- oder Sterbebett sitzen und als letztes noch den Namen leise sagen und die Hand halten. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“ – in christlicher Tradition sagt man diese Worte gern am Anfang des Lebens, wenn ein neugeborenes Kind getauft wird. Gott begrüßt jedes getaufte Kind mit den Worten: „Bei deinem Namen habe ich dich gerufen, mein bist du!“ Ich erinnere mich an die Taufe eines Kindes, dessen Vater Vietnamese war. Die Eltern gaben dem Mädchen den Namen „Hoa“, das heißt Blume. Bevor das Kind schön und aufgeblüht war, war es schon so genannt. In den Namen legten die Eltern alle Zärtlichkeit und Hoffnung für das Kind. Sie riefen es mit diesem Namen ins Leben. Sie riefen die Anmut und das Leben herbei, die noch nicht erschienen waren.
„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, mein bist du“ – Gottes Grußwort am Lebensanfang, unsere Lebenszuversicht für jeden Tag.