Abendsegen | Sonnabend, 17. März 2018

Ein  kleines Mädchen wollte Gott treffen. Es packte eine Limonade und drei Schokoriegel in den Rucksack und ging zum Park. Da saß eine alte Frau und schaute den Tauben zu. Das Mädchen setzte sich zu ihr, packte die Limonade und einen Schokoriegel aus und sah, wie hungrig ihre Nachbarin zuschaute. Da gab sie ihr den Schokoriegel. Dankbar lächelte die alte Frau und das Mädchen gab ihr auch die Limonade, wieder ein wundervolles Lächeln. So saßen die beide den Nachmittag im Park, sprachen kein Wort, aßen Schokoladenriegel, tranken Limonade. Als es dunkel wurde, verabschiedete sich das Mädchen, umarmte die Frau und ging nach Hause.

Die Mutter fragte: „Du siehst so fröhlich aus!“ „Ja“, sagte das Mädchen, „ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – sie hatte ein wundervolles Lächeln!“ Auch die alte Frau war nach Hause gegangen, wo ihr Sohn sie fragte, warum sie so fröhlich aussehe. Sie antwortete: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – und sie ist viel jünger, als ich dachte.“

Der Friede Gottes erfülle und beschütze uns, er verzeihe alle unsere tastenden Bilder und beschenke uns mit Staunen, wer sich mit uns an einen Tisch setzt.

Abendsegen | Donnerstag, 15. März 2018

Ein schielendes Huhn sah die ganze Welt etwas schief und glaubte daher, sie sei tatsächlich schief. Auch seine Mithühner und der Hahn sah es schief. Es lief immer etwas schräg und stieß oft gegen die Wände.

An einem sehr stürmischen Tag ging es mit seinen Mithühnern am Turm von Pisa vorbei. „Schaut euch das an“, sagten die Hühner, „der Wind hat diesen Turm schiefgeblasen.“ Auch das schielende Huhn betrachtete den Turm und fand ihn völlig gerade. Es sagte nichts, dachte aber bei sich, dass die anderen Hühner womöglich schielten.

Segne, Gott, uns alle mit unseren seltsamen Sichtweisen, segne die schwarzen Schafe und die schrägen Vögel und die bunten Hunde und den Dichter Luigi Malerba, der uns mit dieser Geschichte zeigt, dass alles auch  ganz anders sein könnte. Segne die Ruhe dieser Nacht und siehe auch uns an, wie wir sind! Wie sind wir?

Quelle: Luigi Malerba, Die nachdenklichen Hühner, Wagenbach, Berlin 1984

Abendsegen | Sonntag, 18. März 2018

Ich lese den biblischen Psalm 121 – ein Gebet zur Nacht:

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,
woher kommt mir Hilfe
Meine Hilfe kommt von Gott,
der Himmel und Erde gemacht hat.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.
Siehe, der Hüter Israels
schläft noch schlummert nicht.
Der Herr behütet dich.
Der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts.
Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele.
Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit.

Abendsegen | Freitag, 16. März 2018

Nun hat für die jüdische Gemeinde der Schabbat begonnen, der wöchentliche Ruhetag. Zum Schabbat gehört nicht allein das Ruhen, sondern das Lassen, das Abstehen von, das Zurücktreten, das, wörtlich, zur Ruhe kommen. Das meint: Den Computer herunterfahren, die Handys ausschalten, Fernsehstecker herausziehen, Internet verabschieden, Förderband anhalten, alle Schalter ab-schalten, Kasse abschließen, Akte weglegen, Garage verschließen, Praxis zu machen, den Patienten alles Gute wünschen…und den Rücken strecken, die Augen schließen, die Stille kosten. Ein Auge voll Grün, eine Nase voll Märzluft, ein Ohr voll Musik, eine Zungenspitze Sherry…Einmal nicht Nordic walking, sondern südlich schlendern, nicht chatten und chillen, sondern reden und ruhen, nicht online shoppen, sondern Wochenmarkt-Geplauder und -ach, hoffentlich, eine kluge Predigt am Sonntag samt anschließendem Kirchenkaffee – Atem vom großen Atem der Schöpfung: Schabbat für gestresste Christen – rezeptfrei.

Segne uns, Gott der Wandlung, mit einem kräftigenden Schlaf, auf dass wir nicht bleiben, die wir sind!

Abensegen | Mittwoch, 14. März 2018

Ein ungewöhnliches Gebet:

„Herr, du weißt, ich bin nicht reich. Die paar Aktien, und erst die Kurse! Und das Haus – bloß 12 Zimmer. Du kennst mich, ich mag eigentlich gar keine Perlen. (Perlen machen alt. Und die vielen Diäten sind auch nicht lustig.) Herr, Du weißt, ich bin nicht mächtig. Die paar Verwaltungsräte, und das Gehalt – bloß für die Steuer. Du kennst mich, ich mag gar keine Anzüge, Anzüge trägt heute jeder Praktikant. Die vielen Einladungen gehen nur auf die Hüften. Das alles macht mich depressiv. Tu doch was!

Herr, du weißt, ich bin nicht hart. Die paar Scharmützel, und erst die Proteste..

Und die Orden – bloß für die Enkel. Du kennst mich, ich mag eigentlich gar keine Kriege. Kriege sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Und die vielen Demonstrationen rauben mir den Schlaf. Was sind das bloß für Schreie? Machen mich ganz verrückt. Tu doch was!“ Die Schweizer Theologin Jaqueline Keune hat dieses Gebt 2013 auf geschrieben, es trägt den Titel „Unschuld“ – im März 2018 käme vielleicht, „Herr, täte deiner Barmherzigkeit nicht eine Obergrenze gut? Und uns allen ein Heimatministerium?“

Ach Gott, durchlüfte unseren Kopf und unser Herz, stell uns ein Wasserglas ans Bett und bewahre unsere Nacht und die unserer Geschwister auf ihrer Flucht

Quelle: Jacqueline Keune „In Unschuld“ in: Arbeitsheft MISEROER 2013/14,

Abendsegen | Dienstag, 13. März 2018

Eine Kollegin erzählte mir von Erfahrungen beim weihnachtlichen

Krippenspiel. Da machte Lennart mit, fünf Jahre alt, gewitzt und gescheit. Die Krippe mit ihren Figuren hat es ihm angetan:

„Bei der ersten Probe: ein Griff , die Josefsfigur ist weg. Beim zweiten Mal: Maria verschwindet in der Hosentasche. Beim dritten Mal beugt er sich tief in die Krippe zum Christuskind und die Kollegin hört ihn flüstern: „Und wenn ich dieses Mal zu Weihnachten keine Ritterburg bekomme, dann wirst du deine Eltern nie wiedersehen!“ Der junge Mann hat offensichtlich zu viel Fernsehen mitbekommen. Die Kollegin war über den Entführer Lennart mit Maria und Josef in der Hosentasche bekümmert, doch: Er traut dem kleinen Jesus ja viel zu! Und greift zu unlauteren Mitteln,. Das stimmt. Doch es ist schwer, wenn man fünf ist. Später auch noch. Ich halte es mit  Karl Kraus: „In zweifelhaften Fällen entscheide man sich für das Richtige!“

Unser Vater, segne unsere Nacht und schenke uns eine Ahnung, dass selbst Irrwege bei dir zu Wegen werden.

Abendsegen | Montag, 12. März 2018

Huub Oosterhuis aus Amsterdam erzählt folgendes: Ein Mann hatte zwei Söhne; als er starb, bekamen sie jeweils die Hälfte des Landes. Der eine Sohn war reich und hatte keine Kinder, der andere hatte sieben Kinder und war arm. In der Nacht konnte der reiche Sohn nicht schlafen. Mein Vater hat sich geirrt, dachte er, ich bin reich, mein Bruder aber ist arm und hat kein Land für so viele Söhne. Und er stand auf, ging los, rechtzeitig die Grenzpfähle zu versetzen

Auch der arme Sohn lag in der Nacht wach. Mein Vater hat sich geirrt, dachte er, ich habe sieben Kinder, mein Bruder aber ist einsam – und er stand auf, um noch vor dem Morgengrauen die Grenzpfähle zu versetzen. Als der Tag anbrach, begegneten sie einander…

Ich sage euch, an dieser Stelle wird die Stadt des Friedens entstehen.

Gott, der uns alle geschaffen hat, lasse Wahrheit und Frieden leben in den Familien, zwischen denen, die sich nicht kennen, und denen, die sich zu gut kennen. Lass uns Geschwister werden, segne und behüte uns alle.

Quelle: H. Oosterhuis, Du bist der Atem und die Glut, Herder Verlag, 1996 (4)

Abendsegen | Sonntag, 4. März 2018

„Zwischen Dreieck Wittstock und Neuruppin 12 Kilometer Stau. Der Zeitverlust beträgt rund eine Stunde.“ Jedes einzelne Mal, wenn ich dieses Wort, Zeitverlust, höre, diese durch und durch kapitalistische Sichtweise von Warten, widerspreche ich innerlich – Warten als Zeitverlust! Gäbe es nicht ebenso so viel Grund zu sagen: Der Zeitgewinn beträgt rund eine Stunde? Wie unterschiedlich doch gewartet werden kann. Sicher wartet eine Frau in einem kurdischen Dorf anders als eine in Mailand auf der Modemesse. Warten ist oft Ärgernis, Warten ist größte Zumutung, bedeutet größte Ohnmacht.

Ich mag Menschen, die warten können, die es wagen zu warten, die zur Ruhe fähig sind, die Geduld haben. Warten ist nicht abwarten, ist nicht Däumchendrehen. Warten auf die Geburt des ersten Kindes, auf die neue Niere, auf die Heilung, auf das Ende der Trauer – das ist: sich der Ungewissheit anzuvertrauen! Festhalten daran, dass es ein Mehr, ein Besseres geben kann!

Heute war Sonntag, ein Ruhetag, ein Stärkungstag, ein Wartetag.

Unser Vater, der du die Zeit geschaffen hast, bleibe bei uns, denn es will Nacht werden und der Tag hat sich geneigt. Schenke Leib und Seele das schönste Warten, einen ruhigen Schlaf.

Abendsegen | Sonnabend, 3. März 2018

Der Berliner Pfarrer und Professor für Theologie, Friedrich-Wilhelm Marquardt, hat nach bitteren Kränkungen und Krankheit ein Wort zum Abend aufgeschrieben:

Mit jedem Abend eines Tages erinnerst du, Gott, uns an den Abend des Lebens und das Ende aller Dinge. So ist er die Zeit für den Tag zu danken und uns für den Weg in die Nacht zu befehlen.
Unser Leben danken wir dir, dir danken wir Eltern und Geschwister, die nächsten Geliebten, Genossen und Menschen. Mit ihrer Hilfe sind wir, was wir sind. Dir danken wir von Herzen, dir das Ja zum Leben und zu seinem Ende.
Dir danken wir Leib, Seele und Geist – unverdientes Überleben, Lebensfreude, Widerstandskräfte gegen Leiden, Zwänge und Angst. Aber auch Phantasie und Denkvermögen, das Leben zu meistern – allein du aber bist unser Meister.
Du bleibst, der du bist, unsere Freude und Dankbarkeit gelten dir, du unser Schöpfer und Versöhner und Befreier. Diese Hoffnung ist unsere Gewissheit, auch auf unserem Weg in die Nacht. Amen.

(Privater Nachlass)

Abendsegen | Freitag, 2. März 2018

Vor wenigen Stunden hat die jüdische Gemeinde den Schabbat begrüßt, jenen siebten Tag der Woche, an dem Gott ruhte von seiner Arbeit und uns Menschen gebot:

Ruht am Schabbat, lasst den Lärm der Geschäfte, das Joch der Plackerei hinter euch, sagt dem Tun eurer Hände Lebwohl. Enthaltet euch von aller Arbeit!

Das Wort „Schabbat“ ist schwer zu übersetzen; es heißt „ruhen“ im Sinne von „ganz sein“, eine tiefe bewusste Harmonie des Menschen und der Welt, ein Mitgefühl für alle Dinge… Es heißt sogar „Ruhe selbst von dem Gedanken an die Arbeit.“ Dazu eine Geschichte aus der jüdischen Tradition:
„ Ein frommer Mann machte einst einen Spaziergang am Schabbat durch seinen Weinberg. Er sah eine Lücke im Zaun und beschloss, sie auszubessern, wenn der Schabbat vorüber wäre. Am Ende des Schabbats beschloss er: Da ich den Gedanken, den Zaun zu reparieren, am Schabbat gefasst habe, werde ich ihn niemals reparieren.“

Für deinen Segen, der uns birgt und freundlich umgibt, sei dir, Gott, Dank!
Breite aus über uns deinen schützenden Frieden,
Führe uns recht durch deinen guten Rat,
Rette uns um deines Namens willen.

Quelle: Abraham J. Heschel, Der Sabbat, Neukirchener Verlags, 1990, 29