Die Lage des Landes ist nicht leicht zu erläutern, schwerer noch, sie zu verstehen. Politische
Bewegungen machen einen ratlos, eine neue Unübersichtlichkeit gewinnt an Raum. (Eine große Wochenzeitung titelt: „Der Traum vom anderen Leben.“ Wie sieht es aus? Wo führt es hin?
Dazu begleiten uns die Rebellen im Reich des Geistes: Hegel, Hölderlin und Beethoven – alle 1770 geboren, jetzt in ihrem 250. Lebensjahr, der Philosoph, der Dichter, der Komponist, überall gehört und gelesen. „Roll over Beethoven“ von Chuck Berry kenne ich, wusste aber nicht, dass zu chinesischen Hochzeitszeremonien auch Hölderlin-Verse gehören. Vor 250 Jahren wurde er am 20. März 1770 geboren, am kommenden Freitag wird sein Geburtstag gefeiert… Wie schön, dass er selbst ein nachdenkliches, vertrackt heiteres, prophetisches Wort für uns bereithält – der schwäbische Dichter mit dem Pfarrerexamen, ohne jemals in dies Amt zu gehen, adressiert seine Verse:
An die Deutschen
Spottet ja nicht des Kinds, wenn es mit Peitsch und Sporn
Auf dem Rosse von Holz mutig und groß sich dünkt,
Denn, ihr Deutschen, auch ihr seid
Tatenarm und gedankenvoll.
Oder kömmt, wie der Strahl aus dem Gewölke kömmt,
Aus Gedanken die Tat? Leben die Bücher bald?
O ihr Lieben, so nimmt mich,
dass ich büße die Lästerung.
Ein niederfahrender Blitz, ein Strahl aus dem Gewölk – er verwandelt die Welt! Doch da sitzt der Knabe auf dem Schaukelpferd, –„Tatenarm und gedankenvoll“, eine Karikatur der Deutschen, für die der Dichter um Verzeihung bittet. Ob er weiß, wie genau er den biblischen Grundton trifft, Israel erhielt damals die Gebote und sagt: „Wir wollen tun und wir wollen hören!“ Beides gehört ja zusammen. Wann erwächst aus den Büchern das Handeln? Wann folgen Worten Taten? Wie werden wir die Welt neu einrichten?
Friedrich Hölderlin begleitet uns in dieser Woche. Mit seinem Traum von einem anderen Leben.
Alle zitierten Hölderlin Texte – bis auf den 19.3. – sind entnommen: Gesammelte Gedichte und Hyperion, hrsg. von J. Schmidt, Insel Verlag Frankfurt a. M. 1999, hier: 202.