Bibelleser und Griechenlandfahrer nicken mit dem Kopf: „Patmos?, ja, das ist eine Insel in der Ägäis! Da soll das Buch der „Offenbarung“, die „Apokalypse“ des Johannes entstanden sein. Das wusste auch Friedrich Hölderlin, und so entstand sein Gedicht „Patmos“. Es beginnt mit dem größten Trost- und Trotzwort der Moderne – und beides können witr grad gut gebrauchen:
„Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Sein Ansehen und seine Einprägsamkeit haben es zu dem Hoffnungswort, dem Widerstandswort der westlichen Welt werden lassen – und seine Bedeutung wächst in den tödlichen Gefahren dieser Zeit. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ – welch ein Glaube, eine Hoffnung, eine Stärkung!
Das erste Verspaar lautet: „Nah ist / und schwer zu fassen der Gott.“ Gott in seiner gesamten Wirklichkeit und Gegenwart ist nahe und darum so schwer zu fassen. Wie die Fülle der Gedanken,
der Bilder, Ängste und Schrecken uns so nahe und einfach nicht zu fassen und auf einen Punkt zu bringen sind. Gott – nahe und nicht zu fassen. Gerade jetzt, wo wir einander möglichst fernbleiben sollen, werden wir von dieser Nähe „erfasst“, könnte Rettung, Befreiung und Glück geschehen. Eine alte Geschichte vom nahen und so schwer zu fassenden Gott will ich erzählen, denn mit Gott verbindet sich biblisch immer beides: Gefahr und Rettung:
Mose steht mit dem geflüchteten Volk am Rand des Schilfmeers, vor sich die wogenden Wasser, hinter sich die Staubwolken der herankommenden ägyptischen Reiterarmee. Er kann nicht vor, er kann nicht zurück. Schockstarre. .Er hört die Stimme Gottes: „Geh voran ins Wasser, bis es dir zu dir Brust reicht, bis es dir zum Kinn, bis es dir zu den Lippen reicht – und wenn du alles getan hast, was du tun kannst, will ich dir helfen.“ Und Gott hält Wort. Ein Bekenntnis zum Leben, wie hier in diesen zwei Zeilen Hölderlins: „Nah ist und schwer zu fassen der Gott , Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
Nachweis: Friedrich Hölderlin, Sämtliche Gedichte und Hyperion, hrsg. Von J. Schmidt, Insel
Verlag Frankfurt a. M. 1999, 350.