Abendsegen | 30. Juni 2024

Eine neue Woche steht bevor, hoffentlich mal raus aus dem immer gleichen Einerlei. Selbst Kirchengemeinden mühen sich um Events – pulsierend, attraktiv, voller Kicks. Vom Heiland zum Highlight – das wär’s! Fantasie wir gebraucht, auch in unseren Geschichten. Eine erzählt der frühere Erzbischof im Nordosten Brasiliens, Dom Helder Camara, bei einem Berlin-Besuch: „Im übervollen Omnibus zog ein Kind alle Aufmerksamkeit auf sich, weil es mit größter Vorsicht und Behutsamkeit langes Stück Holz, etwas wie einen Stock, leicht erhöht in der Hand trug, ihn schützte und bewahrte. Bei einem Halt fragte der Fahrer, warum das Stück Holz so große Sorgfalt verdiene. Das Kind erklärte: „Ich führe eine kleine Ameise, meine liebste Freundin, spazieren. Das ist ihre erste Busfahrt.“

Gott segne uns und entzünde in uns täglich neue Phantasie und Lebenslust. Er behüte, was weitertragen. Er begleite unsere Schritte morgen und alle Tage dieser Woche.

Quelle: Cornelia Egg-Möwes, Abendsegen, Gesegnet schläft sich’s besser,Neukirchener Verlag 2024

Abendsegen | Sonnabend, 29. Juni

Morgen ist Sonntag, Ob Großstadt, ob Brandenburger Land – Dorfkirchenglocken läuten schon früh. „Dorfkirche im Sommer“ , eine Erinnerung von Detlev von Liliencron, hat etwas Verführerisches:

„Schläfrig sind der Küster vor,                            Amen, Segen. Türen weit

schläfrig singt auch die Gemeinde.                     Orgelton und letzter Psalter.

Auf der Kanzel der Pastor                                   Durch die Sommerherrlichkeit

betet still für seine Feinde.                                  Schwirren Schwalben, flattern Falter

Dann die Predigt wunderbar,

eine Predigt, ohnegleichen.

Die Baronin weint sogar

im Gestühl, dem wappenreichen.

Gott segne die Stunden Ihres Sommers, er schenke Ihnen erholsame Abende.

Lebhafte Gespräche, einen stärkenden Schlaf und eine behütete Nacht!

Quelle:   Detlev von Liliencron, Adjutantenritte, Edition Holzinger, Berlin 2013

Abendsegen | Freitag, 28. Juni

Nun hat für die jüdische Gemeinde der Schabbat begonnen. Schabbat – das heißt:

Nicht allein das Tun, sondern das Lassen ist von Bedeutung. Den Computer herunterfahren, das Smartphone in der Schublade verschließen, Das Förderband anhalten, viele Hebel umlegen, die Kasse abschließen, die Bibliothek verlassen, die Garagentür zumachen, den Patienten alles Gute wünschen und die Praxis schließen, Fernsehstecker herausziehen, Handy ausschalten, drei Kissen aufs Telefon und – die Ruhe wahrnehmen, das Lassen wieder lernen. Ans Fenster gehen, zu den Bäumen schauen, mit einem Auge voll Grün, einem Ohr voll Drossellärm, einer Nase voll Gras und eine Seele voll Juniabendluft und nachbarlichen Grilldünsten…
Nein, aus mit nordic walking, dafür südlich schlendern, aus mit chatten und chillen, dafür reden und ruhen, Bike in den Keller und Riesling aus dem Keller – eine Ahnung von Ewigkeit, mal ernten, ohne zu säen, die großen Zeitungen aufschlagen, dem Nachbarn zuwinken und die Ruhe genießen und jetzt die Pistazien, geröstet und gesalzen…welch ein Segen…

Für deinen Segen, der uns nachts über birgt und uns morgen wieder freundlich umgibt, sei dir, Gott, Dank!

Abendsegen | Donnerstag, 27. Juni

Großeltern brauchen nicht clever zu sein, aber wenn sie gefragt werden „Warum ist der liebe Gott nicht verheiratet ?“ oder warum Hunde Katzen nicht leiden können, dann sollten sie das beantworten können…Gänzlich ohne Antwort und Ausweg war eine jüdische Großmutter, deren Enkel Süßes naschte –  von morgens bis abends.
Sie ging zum Rabbiner und klagte: „Rabbi, der Enkelsohn hört nicht auf, Süßes zu naschen, was kann man machen?“ Der Rabbi dachte lange nach und sagte: „Komm in einer Woche wieder!“ Sie kam wieder: „Er nascht und nascht, was kann ich tun?“ Der Rabbi sagte: „Komm in einer Woche wieder!“ Nach einer Woche strahlte das Gesicht des Lehrers, er sagte: „Sag deinem Enkelsohn, er soll das Naschen lassen!“ Die Großmutter riss die Augen auf und sagte: „Vielen Dank! Und dazu hast du drei Wochen gebraucht?“ Der Rabbi blickte sie lange an: „Das war nicht einfach – drei Wochen habe ich selbst gebraucht, um mir das Naschen selbst abzugewöhnen!“

Gott, der uns geschaffen hat mit Stärken und Schwächen, Esslust, Eislust, Naschlust und Disziplin, segne die Ruhe die Nacht und das Stückchen Schokolade vorm Einschlafen. Er lasse uns erwachen mit großer Kraft gegen manche Versuchung!

Abendsegen | Mittwoch, 26. Juni

Wenn es Menschenwitz gibt, gibt es auch Gotteswitz. Wo fragen wir nach? Natürlich im Judentum, dort gibt es die geistvollsten Auseinandersetzungen zwischen Menschen und Gott zu finden. Eine ging so:

Da kommt eine Gruppe führender jüdischer Wissenschaftler zu dem Schluss, dass Gott heute nicht mehr gebraucht wird und sie diskutieren, wer zu ihm gehen soll, um es ihm schonend beizubringen. Die Wahl fällt auf einen Biochemiker.
„Wir brauchen dich nicht mehr“, sagt der zum Schöpfer, „wir können jetzt selbst Menschen klonen.“ „Okay“, sagt Gott, „das muss ich respektieren! Doch bevor du wieder gehst: Einen kleinen Wettbewerb im Menschenschaffen? Machst du mit?“ Der Biochemiker nickt. „Kein Problem,“ Er bückt sich und hebt eine Handvoll Erde auf, um daraus einen Menschen zu formen. „Nein, nein“, sagt Gott, „jeder nimmt von seiner eigenen Erde!“

Im Vertrauen auf Gott, den Schöpfer unserer Erde, können Sie ihm den Tag überlassen und in Frieden schlafen gehen. Seine schützende Hand schenke Ihnen eine stärkenden Schlaf

Abendsegen | Dienstag, 25. Juni

Im Sommer…an einem ruhigen Abend, im Biergarten, bei Freunden, während einer Pause beim kleinen Fahrradtrip… steigen Gedanken auf: Fragen, Überlegungen… Werde ich jetzt 52, was wird die Ärztin übermorgen sagen… der neue Chef, was ist das eigentlich für einer…?

Wie ging es bisher? Ich habe angefangen, bin mal gestürzt, aber wieder aufgestanden. Ich liebe einige Menschen, einige lieben mich. Ich habe gegeben, ich habe genommen, ich habe Glück gehabt, bin manchmal müde und fühle mich leer. Was wird noch kommen, ich werde in einer Woche 52 Jahre alt.

Dann denke ich an die liebenswürdige Empfehlung von Thornton Wilder: „Ich würde Ihnen raten, jetzt nicht nach dem Warum und Woher zu fragen, sondern Ihr Eis zu essen, bevor es schmilzt!“ [1]
Gottes Segen komme zu uns, dass wir Nein sagen, wo es nötig ist, dass wir Ja sagen, wo es gut ist, dass wir Stärkung finden im Wachen und im Schlafen.

[1] Thornton Wilder in Nuber, Ursula, „Iss dein Eis, bevor es schmilzt: Warum es sich nicht lohnt, auf später zu warten“, Knaur Verlag, München 2010.

Abendsegen | Montag, 24. Juni 2024

Eine Abendeinladung bei Freunden. Es wir kühle Limonenbowle serviert und Sie betreten, in jeder Hand ein Glas, einen anderen Raum.
An der Schwelle kommt jemand auf Sie zu, der eine wunderschöne chinesische Vase in seinen Händen hält. Er erkennt sie und mit einer lebhaften Handbewegung wirft er Ihnen die Kostbarkeit entgegen…Was würden Sie tun?

Ich hab’s ein paar Mal erlebt, dass andere, auch ich, die gewöhnlichen Gläser, die alten Dinge, die das halbe Leben zu uns gehörten, festgehalten, und die Kostbarkeiten, die uns im Leben entgegenkamen, nicht aufgefangen haben…
Warum lassen wir das Verbrauchte, das vermeintlich zu uns Gehörige, nicht los? Verpassen das neue, überraschende, vielversprechende, andere, womöglich Neues eröffnende? Eine andere Perspektive – mag sein, ohne Rendite und Zinsen, aber mit einem anderen Horizont, mit aufregenden Aussichten? So oft halten wir die alten, matten Gläser fest und fangen die leuchtende Vase nicht auf…
Gott, du hast uns geschaffen samt unserem Zögern und unserem Zugreifen – schenke uns eine ruhige und stärkende Nacht und morgen eine beherzte Entscheidung!