Abendsegen | Sonntag, 26. Januar 2025

Morgen ist der 27. Januar, der Schoa-Gedenktag – kein leichter Wochenanfang. Der deutsche Versuch, das jüdische Volk umzubringen – dafür fehlt die Sprache. Deshalb spreche ich von Musik und Yehuda Menuhin. Er hat Lebenserinnerungen geschrieben mit dem schönen Titel „Unvollendete Reise“. Darin schreibt er über die Interpretation eines Musikstückes: „Im Idealfalle würde man eine Passage ganz gleichmäßig spielen und gerade so viel Unregelmäßigkeiten zulassen, dass ein Element der Lebendigkeit spürbar bleibt.“

Für Menuhin ist diese kleine Unregelmäßigkeit „La part de Dieu – Gottes Teil“. Er sagr, das sei es, wovon jede „Aufführung fast unbewusst bestimmt sei.“ Ich finde das wunderbar: Die Noten so exakt wie möglich – und dann ein kleiner Spielraum zwischen den Noten, den wir nicht in der Hand haben, der alles bewegt und belebt Yehuda Menuhin, aus dem Volk, dem die Deutschen das Lebensrecht absprechen wollten und damit schon begannen, Yehuda Menuhin nannte ihn“Gottes Teil“,

Abendsegen | Sonnabend, 25. Januar 2025

Vor 80 Jahren schrieb der amerikanische Geistliche Reinhold Niebuhr das berühmteste Gelassenheitsgebet des 20. Jahrhunderts. Angesichts der bevorstehenden Wahl in wenigen Wochen könnte es sich als sehr bekömmlich und beruhigend in allen Aufgeregtheiten erweisen:
„Gott, gib uns die Gnade, mit Gelassenheit Dinge hinzunehmen,
die sich nicht ändern lassen, den Mut, Dinge zu ändern,
die geändert werden müssen!
Und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Gnade, Mut und Weisheit – diese drei. Groß unter ihnen sollte die Weisheit sein. Sie soll unterscheiden können, welche Dinge Gelassenheit und welche raschen Mut erfordern. Mehr als um diese Weisheit zu bitten ist bei manchen Wahlen nicht möglich und – die Rede, der amerikanische Präsident sage dieses Gebet am Morgen und am Abend, soll sich als Gerücht erwiesen haben…

Gott, deinen Segen erbitten wir, deine Weisheit berate uns. Dein Geist schenke uns eine ruhige Nacht, ob wir nun zu den Gewinnern oder zu den Verlierern gehören werden.

Abendsegen | Freitag, 24. Januar 2025

„ Wär ich ein Buch zum Lesen, welche Art von Buch wär ich?
Eins, das noch nie dagewesen ist – wäre ich ein Buch für dich?
Wär ich ein Buch im Leben, würdest du mein Leser sein?
Bliebst du mir treu bis zum letzten Wort,
wie immer es auch heißt?
Ein Buch, das mit dir weint und lacht,
das dein Begleiter ist bei Tag und Nacht,
mir dir träumt und mit dir wacht.“.

Vor einem halben Jahrhundert sang Dahlia Lahvi von den Liebenden, die füreinander wie ein aufgeschlagenes Buch sind, in dem sie voneinander lesen, „treu bis zum letzten Wort.“ Jetzt ist Schabbat-Abend in den jüdischen Gemeinde und Familien, jetzt wird Gottes „Buch des Lebens“ gelesen und aus ihm gesungen. Dahlia Lahvi, Juden und Christen sind keine Buch-Halter, sondern leben mit dem Wort Gottes, „treu bis zum letzten Wort, wie immer es auch heißt.“

Gottes Segen begleite alle, die zu hören bekamen, sie seien überflüssig, die keinen Schlaf finden, weil der Tags sie traurig gemacht hat; er stärke sie und bewahre uns alle in seinem Buch des Lebens.

Abendsegen | Donnerstag, 23. 01. 2025

Meine Tochter unterrichtet an einer Schule, die 450 Jahre alt ist, aber mit Kindern, die jung, hellwach, gut aufgeweckt, neugierig, redelustig sind, fragen, streiten, wissen wollen – so erzählt sie oft aufregende und nachdenkliche Geschichten von diesen Kindern, pardon, Jugendlichen. In einer Unterrichtsstunde ging es ums Thema „Raumfahrt“. Der deutsche Astronaut Alexander Gerst war gerade im Weltall, großes Aufregung, lebhaftes Diskutieren. Die Religionslehrerin warf ein, es gebe ein christliches Fest, das so ähnlich hieße, „Raumfahrt… Raumfahrt?“. Ja, riefen einige: „Himmelfahrt!“ und setzten fort: „Aber das meint doch…irgendwie ist das…“ Hinter den Stirnen arbeitete es. „Himmel… Himmel…“ Ein kritischer Junge rief laut prustend: „Ja, wie heißt denn die Adresse von Jesus?“ Gespannte Stille – und wie immer, wenn es spannend ist – Pausenklingel. Niemand rührte sich. Da stand ein Mädchen auf, ging zu dem Jungen und drückte ihm ein Zettelchen in die Hand. „Ich habe dir seine Adresse aufgeschrieben!“ Stille in der Klasse. Dann brach es los: „Vorlesen!“ Der Junge liest laut vor: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen!“ – „Das soll eine Adresse sein?“ rufen einige, „Was heißt das?“
Schön, dass es Pausen gibt.

Gott, der seine Geschöpfe zu Frage und Antwort geschaffen hat, möge uns ein nachdenklichen Lächeln beim Einschlafen schenken!

Abendsegen | Mittwoch, 22. Januar 2025

Ein schielendes Huhn sah die ganze Welt etwas schief und glaubte daher, sie sei tatsächlich schief. Auch seine Mithühner und der Hahn sah es schief. Es lief immer etwas schräg und stieß oft gegen die Wände. An einem windigen Tag ging es mit seinen Mithühnern am Turm von Pisas vorbei. „Schaut euch das an!“, sagten die Hühner, „der Wind hat diesen Turm schief geblasen!“ Auch das schielende Huhn betrachtete den Turm und fand ihn völlig gerade. Es sagte nichts, dachte aber bei sich, dass die anderen Hühner womöglich schielten…

Segne Gott uns alle mit unseren seltsamen Sichtweisen, in denen wir uns gegenseitig wahrnehmen! Segne die schwarzen Schafe und die schrägen Vögel und die bunten Hunde und den italienischen Dichter Luigi Malerba, der uns lehrt, dass sie alle und wir anders sein könnten…
Stärke unsere Ruhe die Nacht hindurch und siehe auch uns an, wie wir sind! Wie sind wir denn?

Abendsegen | Dienstag, 21. Januar 2025

Bevor der alte Mann gestorben ist, hat er so viel wie möglich geregelt, damit seine Frau sich nicht darum sorgen muss: Das Haus verkauft, eine kleine Wohnung für seine Frau eingerichtet: Möbelstücke verschenkt, das Büro geräumt, unendlich viel Papier in die Tonne getan, laufende Ausgaben durchgemustert, eine Rente eingerichtet, dass sie leben kann, ohne hilflos zu werden. Den Kindern hat er hinterlassen: Zivilcourage, Aufrichtigkeit, und – das Schönste – Großzügigkeit. Eine Reihe von Spendenkonten, Respekt vor den Notleidenden., Die Angst kleiner und das Wohl vieler größer zu machen. Die Beerdigung – ich war darum gebeten – fiel mir leicht. Dank war mein Thema. Alle stimmten zu. Im Nachgespräch waren wir uns – vielleicht etwas zu rasch – einig: Die wirklich wichtigen Dinge in unserem Leben haben wir nicht selbst gemacht, sie wurden uns geschenkt. Die Fähigkeit, Liebe zu geben, die Gesundheit bewahrt zu bekommen – uns bleibt die Dankbarkeit. Die Aufmerksamkeit der Ärztinnen, die wunderbaren Pflegekräfte aus allen Ländern der Erde – uns bleibt Dankbarkeit! Sie macht uns alle zu Mitmenschen. Das ist schwer anzuerkennen, denn Dankbarkeit ist Denkarbeit!

Unser Vater in den Himmeln, schenke uns alle einen stärkenden Schlaf! Deine Güte und Treue mögen uns behüten.

Abendsegen | Montag, 20. Januar 2025

Einer, so wird erzählt, kam nachts zu Jesus. Im Schutz der Dunkelheit. Wenn es Nacht wird, steigen die Fragen in uns auf. Wenn es ruhig um uns geworden ist, fühlen oft Unruhe in uns…So viele Antworten stehen noch aus… Einer, so wird erzählt, kam nachts zu Jesus. Nutzte die Stille, brachte seine Fragen mit: Wie kann ein Mensch neu geboren werden, wenn er schon alt ist? Ist denn Veränderung noch möglich? Alles scheint doch festgefahren zu sein. „Keine 10 Pferde bringen mich aus meiner Wohnung!“ Ja, die Spielräume werden enger. Manches misslang, so viel blieb liegen. Unerledigt, ruft das Wandbrett voller Notizen und Telefonnummern. Einer kam nachts zu Jesus, er will es jetzt wissen: Wie ernst ist die Rede vom Neubeginn? Und Jesus war ansprechbar. Sprach in der Nacht vom Licht. Sprach zu dem, der sich am Ende glaubte, vom Neuanfang. Sprach zu dem, der glaubte, nichts zuwege zu bringen. Gott sei unterwegs – auch zu ihm. Einer, so wird erzählt, kam nachts zu Jesus. Denn Jesus ist ansprechbar. Und erst recht, wenn es Nacht wird und die Fragen kommen…

Gott, deinen Segen erbitten wir. Deine Zärtlichkeit um umfange uns. Deine Liebe befreie uns. Deine Kraft stärke uns. Deine Weisheit berate uns. Amen – so sei es.

Abendsegen | Sonntag, 12. Januar 2025

In der Londoner Untergrundbahn hing vor Jahren eine Werbung: „Surprise the Germans -speak their language!“ Die Überraschung, in der eigenen Sprache angesprochen zu werden, ist immer groß, immer angenehm und sehr erfreulich! Beruflich hatte ich oft Menschen zu danken für das wunderbare Deutsch, in dem sie zum Beispiel Ihren Vortrag gehalten hatten – ich selber hatte sie oft nur leidlich, ja mühsam auf polnisch, hebraisch, spanisch oder italienisch begrüßt. Wörtlich genommen, ist erstaunlich, dass wir es wenig nutzen, ein paar Sätze Arabisch oder Türkisch zu können, eine Begrüßung auf Ukrainisch etwa, sich in die Sprache des anderen hineinzufinden.
Sprache erlaubt es, dem anderen ein ganz klein wenig näher und ähnlicher zu werden. Es ist eine wunderbare Überraschung für zwei Menschen, einander in der eigenen Sprache zu hören. Die christliche Tradition feiert diese liebevolle Überraschung am Pfingstfest– mit diesem Fest feiert sie den Geburtstag der Kirche. Das kann auch jeden Tag geschehen… Gott, der du uns geschaffen hast mit Stärken und Schwächen, segne die Ruhe der Nacht! Die Kühnheit deines Geistes wandle unser Sprechen mit vielen, die unter den Dächern dieser Stadt leben.

Abendsegen | Sonnabend, 11. Januar 2025

In der französischen Revolution waren die Begriffe „Freiheit“ und „Gleichheit“ unumstritten; „liberte“ und egalite“; sie sollten den Umsturz klar benennen. Dagegen war die „Brüderlichkeit“, „die fratenite“, umstritten, sie lässt sich schwer in „Gesetze“ fassen. Der linke Flügel der Revolution trug sie vor, der rechte bestand auf „propriete“, dem Recht auf Besitz.- Dazu eine Erzählung vom Amsterdamer Kollegen Huub Oosterhuis: „Ein Mann hatte zwei Söhne. Als er starb, bekamen beide die Hälfte des Landes. Ein Sohn war reich und hatte keine Kinder, der andere hatte 7 Kinder und war arm. In der Nacht konnte der reiche Sohn nicht schlafen; ‚Mein Vater hat sich geirrt, dachte er. Mein Bruder ist arm und hat kein Land für so viele Kinder. Und er stand auf, rechtzeitig die Grenzpfähle zu versetzen… Auch der arme Sohn lag wach und dachte: Mein Vater hat sich geirrt; ich habe sieben Kinder, mein Bruder aber ist einsam – und er stand auf, um noch vor dem Morgengrauen die Grenzpfähle zu versetzen. Als der Tag anbrach, begegneten sie einander. Ich sage euch, an dieser Stelle wird die Stadt des Friedens entstehen. Gott, der uns alle geschaffen hat, lasse Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit leben zwischen denen, die sich gut kennen und denen, die sich zu gut kennen. Lass uns Geschwister werden, was hat die Gesellschaft nötiger?

Quelle: Huub Oosterhuis, Du bist der Atem und die Glut, Herder, Freiburg 1995 (4)

Abendsegen | Freitag, 10. Januar 2025

Es ist Schabbatabend geworden, in den Synagogen wird darauf geachtet, dass niemand allein nach Hause geht; es wird eingeladen, in den Familien den Abend gemeinsam zu begehen. Festlich mit Gebet und Gesang, köstlich mit Getränk und gedecktem Tisch. Ich lese das Gebet zu Nacht aus dem Juden und Christen gemeinsamen Gebetbuch, dem Buch der Psalmen:

Psalm 121

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt von Gott, der Himmel und Erde gemacht hat.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht.
Siehe, der Hüter Israels, schläft noch schlummert nicht.
Der Herr behütet dich.
Der Herr ist der Schatten über deinen rechten Hand,
dass dich des Tages die Sonne nicht stickt noch der Mond des Nachts.
Der Herr behüte vor allem Übel, er behüte deine Seele.
Der Herr behüte deinen Eingang und Ausgang
von nun an bis in Ewigkeit.