Worte für den Tag | Sonnabend, 2.12.2006

Ein düster verhangener Abend im frühen Herbst, die Dorfstraße auf der Grenze zwischen Berlin und Brandenburg ist schlecht beleuchtet, es regnet unaufhörlich. Wo ist das evangelische Gemeindehaus? Doch, es gibt eins, ein Lichtschein lädt ein und die Tür ist unverschlossen, aber es muss der Hintereingang sein, denn an der ersten Zimmertür steht: „Küche! Zutritt nur für Berechtigte!“ Nun mag es hundert gescheite Gründe für diese barsche Begrüßung geben, nur: Einladend ist sie nicht. In der Bibel wird man diesen Ton nicht finden! Gewiss, ich kenne kirchliche Amtsstuben, auch sehr bedeutende, in denen auf jeder Stirn geschrieben steht: „Was immer du auf dem Herzen haben mögest, lieber Christ, fasse dich kurz, wir sind hier vollbeschäftigt!“ Freundlichkeit und Höflichkeit, Grüßen und Begrüßen werden als Schmuck des Christentums nicht immer angelegt.

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Worte für den Tag | Freitag, 1.12.2006

Die letzte Woche des Kirchenjahres geht zu Ende, eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. (..) Eine kühne Bilanz hat die polnische Dichterin Wislawa Szymborska gezogen. Sie ist Krakauerin, Jahrgang 1923, hat den Nobelpreis für Literatur und viele Auszeichnungen bekommen. Nun einige Zeilen aus ihrem Gedicht „Das Ende eines Jahrhunderts“:
„Zu viel ist geschehen, was nicht hat geschehen sollen, und was hat kommen sollen, kam leider nicht…Einige Unglücksfälle sollten nicht mehr geschehen, zum Beispiel Krieg und so.

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Worte für den Tag | Donnerstag, 30.11.2006

Die Bibel erzählt vom Propheten Jona; der der Stadt und dem König von Ninive den Untergang ansagte. Der König rief ein Fasten für Menschen und Tiere aus und sagte: „Wer weiß! Vielleicht lässt es sich Gott gereuen und wendet sich ab von seinem Zorn, dass wir nicht verderben!“ „Wer weiß!“, sagte der König; das gefiel meinem Freund sehr gut. „Wer weiß“ – das sollten auch die Christen öfter sagen, meinte mein Freund. Denn er beklagte den christlichen Gottesdienst und die Predigten: alle Aussagen seien irgendwie erwartbar. Käme das Wort Sünde, folge ihm sofort das Wort Vergebung, fiele das Wort Schuld, folge ihm die Gnade auf dem Fuße. Und immer sei die Predigt auf Jesu Seite. Es gäbe kein „Wer weiß!“, kein Zögern, keinen langsamen Schritt. Seine Schlussbemerkung versetzte mir einen Stich: „Vielleicht sind die Predigten deswegen so langweilig, weil ihr Gott zu früh recht gebt“.

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Worte für den Tag | Mittwoch 29.11.2006

Sie weiß nicht mehr, wie alt sie ist, wie sie heißt. Sie kennt ihre Kinder und Enkel nicht mehr, und wenn sie das Haus verlässt, findet sie den Heimweg nicht. Sie kommt nicht mehr ohne Hilfe ins Bett, das Essen wird ihr teilweise eingegeben, sie spricht keinen ganzen Satz. Aber sie kann noch gehen, braucht weder Stock noch Rollator. Letzte Woche ist sie gestürzt. „Ich tippe auf Oberschenkelhalsbruch“, sagte der Hausarzt, „muss geröntgt werden.“ „Ist das wirklich nötig?“, fragte ihr Sohn. „Wenn sie wieder gehen können soll!“. „Aber wird sie das können?“, fragte die Schwiegertochter. „Wir hoffen es“, sagte der Arzt. Sie wurde ins Krankenhaus gefahren, ratlose Furcht stand auf ihrem Gesicht. „Oberschenkelhalsbruch“, sagte der Röntgenarzt, „Operation muss sein!“ „Wirklich?“, fragte der Sohn. „Wir können die Frau doch nicht einfach liegenlassen“, erwiderte der Arzt. „Was geschähe dann?“ „ Sie würde rasch eine Lungenentzündung bekommen und sterben“. „Du willst doch das Beste für deine Mutter“, sagte seine Frau. Er sah sie an. „Wenn ich nur wüsste, was das Beste ist“

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Worte für den Tag | Dienstag, 28.11.2006

Was ist der Mensch? Ein ernste Frage für diese ernste Woche zwischen dem Totensonntag und dem ersten Advent. Die Bibel weiß viele Antworten, nicht alle sind so scharf wie die im Buch Hiob: „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe. Er geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und kann nicht bleiben“

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Worte für den Tag | Montag, 27.11.2006

Der Ewigkeitssonntag, auch Totensonntag genannt, war gestern. Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm III widmete 1816 diesen letzten Sonntag im Kirchenjahr (..) der Erinnerung an die Verstorbenen und dem Nachdenken darüber, dass auch wir sterben müssen.

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DAS WORT – 22. Oktober 2006

Heile mich, Gott, so werde ich heil!
Hilf mir, so ist mir geholfen!
Jeremia 17,14

„Sagen Sie mal A „ sagte der Doktor.
„Ganz ruhig liegen“, sagte die Röntgenassistentin.
„Richtig entspannen“, sagte der Internist bei der Magenspiegelung.
„Tief einatmen“, sagte der Lungenarzt.
„Das Bein gerade halten“, sagte die Krankengymnastin.
„Sie müssen nicht so ängstlich sein“, sagte der Chirurg.
„Sie müssen mehr trinken“, sagte der Urologe.
„Sie müssen aufhören zu trinken“, sagte der Therapeut.
„Sie müssen sich mehr bewegen“, sagte der Rheumatologe.
„Sie hätten früher kommen müssen“, sagte der Neurologe.
„Morgen geht’s nach Hause“, sagte der Stationsarzt.
„Gott sei Dank“, sagte der Patient.

Kranksein bedeutet, viel müssen und wenig dürfen. Und es betrifft niemand so sehr wie die Deutschen. Deutsche sind mit ihrem Gesundheitswesen unzufriedener als Amerikaner, Kanadier, Briten oder Neuseeländer. 58 Prozent von 4000 Befragten bezeichnen das eigene Befinden als schlecht. Wenn sich die Deutschen schlecht fühlen, verschafft ihnen der Arztbesuch nicht immer Erleichterung. In den Praxen der Mediziner geht ein seltsames Leiden um: Fast die Hälfte der Patienten hat Beschwerden, bei denen nichts Krankhaftes festgestellt wird. Magen, Darm, Herz, Kreislauf und der Rücken stehen im Mittelpunkt. Bekommen Patienten zu hören, sie hätten etwas, sind sie enttäuscht. Wird ihnen gesagt, sie hätten nichts, sind sie auch enttäuscht. Es gibt kaum noch Gesunde – nur Menschen, die nicht gründlich genug untersucht worden sind.

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Das Wort – Pfingstmontag – 5. Juni 2006

Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth
Sacharja 4,6

Zu Pfingsten hat man frei. Heute den zweiten Tag, den Pfingstmontag. Zu Pfingsten macht man keine Geschenke. Zu Pfingsten sucht man nicht in Verstecken. Zu Pfingsten macht man das, wozu man Lust hat. Zu Pfingsten hat man frei.

Tannenbaum und Ostereier findet man zu Weihnachten und am Osterfest in vielen Häusern. Sie erinnern auf ihre Weise an die Natur, in der wir unser Leben verbringen, an die Schöpfung, und manchmal an den Schöpfer. Ein beliebter Roman der alten DDR hieß „Das liebliche Fest“, von Pfingsten war nicht die Rede und jeder wusste, was gemeint war. Lieder im kirchlichen Gesangbuch bitten um der „Liebe Brunst“, die an diesen Tagen Menschen ergreifen soll. Wie gut, dass wir da frei haben…

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Worte für den Tag | Worte auf den Weg | Sonnabend, 22. 4. 2006

„Komm mit“, flüstert die Frau auf der Straße. Sie kann einiges bieten, und sie wird einiges kosten. Verführungen solcher Art appellieren nicht nur an unsere Triebhaftigkeit und Sehnsucht, sie verlangen auch eine angemessene Kalkulation. Sophia heißt die Dame, man darf sie auch mit „Frau Weisheit“ ansprechen. Sie steht in der Nähe des Marktes und lockt die jungen Männer: „Ihr Männer, ich rufe euch zu mir!“. Die Herkunft dieser Frau ist erstaunlich: „Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, schon im Anfang, ehe die Erde war!“ Ihre Verlockungen sind in jeder Hinsicht viel versprechend: „Die Weisheit hat ihr Haus gebaut. Sie hat das Vieh geschlachtet, den Wein gemischt, den Tisch bereitet und nun sendet sie ihre Mitarbeiterinnen aus mit vielen Einladungen: Kommt, esset von meinem Brot, trinkt von dem Wein, verlasst eure Unwissenheit und geht auf den Weg des Wissens, so werdet ihr leben!“

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Worte für den Tag | Worte auf den Weg | Freitag 21. 4. 2006

Die Erzählungen im Neuen Testament, die von der Begegnung der Jüngerinnen und Jünger mit dem auferstandenen Jesus berichten, spielen entweder in der Abenddämmerung, wenn rasch die Nacht hereinfällt, oder im Morgengrauen, wo man Tag und Nacht noch nicht genau unterscheiden kann – sie sind nicht ganz deutlich, sie bringen Tag und Nacht zusammen, Stunden, in denen man seinen Augen nicht immer trauen kann, in denen auch der Zweifel berechtigt ist. Beweisbar, fotografierbar, mit Händen zu greifen ist diese Wahrnehmung nicht. Keine Erzählung verdrängt die Bezweiflung – „einige jedoch zweifelten“, heißt es am Ende des Matthäusevangeliums. Die vor wenigen Jahren verstorbene Theologin Dorothee Sölle wurde in Amerika oft gefragt: „Are you saved?“ – „bist du gerettet?“. Sie antwortete: „God knows better than you and me!“ – „Gott weiß das besser als du und ich!“

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