Zu den unerschöpflichsten Liebesgeschichten gehören die zwischen Menschen und Büchern. Nur eine Diktatur wie zum Beispiel die Perons in Argentinien konnte 1950 Demonstranten skandieren lassen: Schuhe ja, Bücher nein!“. Der Gegensatz zwischen Lesen und Leben ist von den Mächtigen immer geschürt worden – der Gedenkort für die verbrannten Bücher vom Mai 1933 auf dem Berliner Bebelplatz gehört zu den eindrücklichsten der Bundeshauptstadt. Aber Lesen ist wie atmen“, sagt Alberto Manguel in seiner unvergleichlichen Bücher-Schatzkammer Eine Geschichte des Lesens“ (Berlin 1998), deshalb war auch der Slogan mancher 68er Hört mit den Zitaten auf“ als Spitze gegen akademische Zitierkartelle kurzzeitig witzig, aber das Leben des Lebens“ gegen das Leben des Buchstabens“ zu stellen, ruft mit seiner vitalistischen Willkür unangenehme Erinnerungen wach. Ob es aus der Romantik stammt, dass das Selbst sich aus sich heraus entwickeln kann und nicht von einer Buch-Autorität erzogen werden soll? Es regiert unter Studierenden (auch der theologischen Disziplin!) eine derartige Unlust dem Lesen gegenüber, dass die Lesenden fast schon wie eine aussterbende Art angesehen werden müssen. Der Teilzeitleser“, der halbe“ Leser, der gegen irgendeine Geräuschkulisse anlesende Leser, der in der Wartehalle des Flughafens sein ausgelesenes Taschenbuch achtlos liegen lässt – es wird ihn häufiger geben.
DAS WORT – 05. Mai 2007
Anfang Juni findet in Köln der 31. Deutsche Evangelische Kirchentag statt unter der Überschrift „Lebendig und kräftig und schärfer…“ Diese Worte aus der Bibel lauten im Zusammenhang: „Ja, das Wort Gottes ist lebendig, kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, es dringt durch Seele und Geist und geht durch Mark und Bein“. Ich hoffe, dass auch viele Menschenworte auf diesem Kirchentag lebendig und kräftig und scharf sind. Von einer Stimme auf vielen Kirchentagen konnte man das immer sagen: Es war Dorothee Sölle, die mit ihren Bibelauslegungen der Schärfe des Wortes Gottes Gehör verschaffen wollte. Sie kämpfte mit der Kraft des Wortes Gottes gegen den gottlosen Satz: „Ich kann ja sowieso nichts machen!“.
DAS WORT – 04. Mai 2007
Wollen wir etwas sehr stark ausdrücken, sagen wir: Es schreit zum Himmel! Die Ungerechtigkeit auf der Erde schreit zum Himmel: Während die einen danach trachten, dass sie dem Überfluss immer mehr abgewinnen, sehen die anderen, dass die Welt sie vergessen hat und ihre Kinder an Hunger sterben. Die Welt unterwirft sich, ohne weiter zu fragen, den Gesetzen des Geldes. Wir können erkennen, wohin Geld strömt und wo der Absturz in die Verelendung geschieht. Schlimm ist die behauptete Unvermeidlichkeit des Ganzen: Eine Grundeinsicht setzt sich durch: „Man kann dagegen nichts tun, das ist zwangsläufig so.“
Nicht zu glauben! – Gott – abhängig?
In wenigen Wochen beginnt in Köln der 31. Deutsche Evangelische Kirchentag. Zu den die Kirchentage mitprägenden Bibeltexten zusammen mit der Losung – „Lebendig und kräftig und schärfer…“ – und den Bibelarbeitstexten gehört auch ein „Kirchentagspsalm“. Die Bibelarbeitstexte bündeln kräftige und scharfe Herausforderungen: Die Prüfung Jesu (Matthäus 4), der Propheten (Jeremia 23), der Athener Philosophen (Apostelgeschichte 17), der Kanaanäerin (Matthäus 15) und Elias (1. Könige19). Überall erweist sich das Wort Gottes als lebendig, kräftig und schärfer als ein zweischneidiges Schwert. Aufregend ist der Schluss des 33. Psalms (in der Kirchentagsübersetzung):
„Deine Freundlichkeit, Adonaj, komme uns entgegen – wie wir dich erwarten“.
DAS WORT – 03. Mai 2007
Einer, der im Winter durch deutsche Landschaften gefahren ist, sagt: Es gibt inzwischen Dörfer, da gehen morgens keine Lichter mehr an. Die Arbeitslosigkeit lässt ganze Landschaften veröden. Und während er das beobachtet, beschließt ein Konzern, der einen Milliarden-Gewinn eingefahren hat, bis zu 10 000 Arbeitsplätze “abzubauen“, wie er sagt. Er baut Arbeitsplätze ab, um den Wert des Unternehmens zu steigern. Je mehr Arbeitsplätze vernichtet werden, desto kräftiger sind die Kursgewinne. Es macht mir Mühe, dieses zynische Spiel zu begreifen. „Das gehört zu den selbstverständlichen Spielregeln. Das ist (..) unvermeidlich“, wird mir erwidert.
DAS WORT – 02. Mai 2007
„Sein ganzes Leben war Arbeit“ – nicht selten liest man diesen und ähnliche Sätze in Todesanzeigen oder hört sie bei Traueransprachen. Das ist ganz positiv gemeint. Nach biblischem Verständnis von Arbeit und Ruhe hätte man dagegen etwas sehr Trauriges gesagt: Ein Mensch, dessen ganzes Leben Arbeit war, hat nur ein halbes Leben geführt, denn die Ruhe schließt die Arbeit ab, Arbeit ohne Ruhe ist nach der Bibel unvollständig. So ist nach der biblischen Schöpfungsgeschichte nicht der Mensch die Krone der Schöpfung, sondern die Ruhe am siebenten Tag.
DAS WORT – 30. April 2007
Ein Freund erzählte mir folgende Begebenheit: „Vor wenigen Jahren erhielt ich eine Einladung, vor einem Schulkollegium ein Seminar zu halten, das Thema durfte ich selbst wählen. Der Termin lag nahe beim 1. Mai, so wählte ich das Thema „Arbeit in der Bibel“, also „Die Welt der Arbeit in der Welt der Bibel“, das passe zum „Tag der Arbeit“. Es gab freundliche Reaktionen – das sei gerade richtig. Am Morgen des Treffens wurde ich erwartungsvoll begrüßt, alle freuten sich auf das Seminar zum Thema: „Arbeit mit der Bibel“. Ein…Versprecher? Nein, im Programm stand „Arbeit mit der Bibel“, „Bibelarbeit“ eben, Werte in der Bibel entdecken und für heute entfalten…“, so weit seine Geschichte.
Nicht zu glauben! – Gangart: Hinkend
Ist es die dunkelste Geschichte des Alten Testamentes? Der Gotteskampf am Jabboq in tiefer Nacht, umschlingend und ringend will Jakob den Segen vom Gegenüber. Mit Gott von Angesicht zu Angesicht kämpfen geht nur mit Blessuren ab: „Da ging ihm die Sonne auf…er aber hinkte an seiner Hüfte“ (1. Mose 32, 32). Groß denkt die Geschichte von Jakob, nun heißt er Israel, Gottesstreiter. Hinkend übt er den aufrechten Gang, vielleicht die einzige Möglichkeit… Schneidend scharf dagegen das Jakobsbild beim Propheten Hosea: in Kapitel 12, 1-10 wird aus dem Gotteskämpfer Jakob-Israel ein Gottesbetrüger, der nur Lüge, Trug und Tyrannei kennt. Er hinkt und schwankt zwischen Großmächten. Da kommt Gott kommt zum Rechtsstreit, betrog Jakob nicht schon im Mutterleib? Und der Segen endet im Flehen um Gnade: „Er weinte und flehte den Engel um Gnade an“ (V.5). Hosea streicht scharf das schauerlich-schöne Jakobsbild durch. Jakob-Israel – ein Gottes- und Selbstbetrüger; die Schärfe Hoseas ist nicht zu glauben! Was bleibt? Höre, Jakob: „Hingabe, Recht und Hoffnung“ (V.7) Dann wirst du wieder Gott begegnen, hinkend.
Nicht zu glauben! – Nie mehr siegen müssen!
Heilig Abend haben wir es wieder gehört: “Der Wolf wird beim Lamm als Flüchtling unterkommen, der Leopard beim Böckchen lagern. Der Säugling wird vergnügt am Loch der Kreuzotter spielen; und nach der Höhle der Giftschlange wird das Kleinkind mit seiner Hand patschen“ – Jesaja 11 erzählt vom friedlichen Zusammenleben bisheriger Todfeinde im Bild vom „Tierfrieden“.
DAS WORT – 4. Februar 2007
Seid stark und euer Herz sei mutig – alle, die ihr euch auf Gott verlasst
Psalm 31,25
Er war erst sechzig, als es ihn erwischte: Schlaganfall, rechtsseitige Lähmung, Sprachverlust. In der Rehabilitation tat man alles – mit wenig Erfolg. Gehen war unmöglich, sprechen konnte er bloß ein paar schwer verständliche Worte, die rechte Hand begann sich zu verbiegen – der Eintritt ins Pflegeheim war unumgänglich.
Da gab es einen Trotz in ihm, eine Trotzenergie. Er hatte genaue Vorstellungen von dem, was er brauchte: Unbedingt einen motorisierten Rollstuhl, um selbständig ausfahren zu können.
„Ist das nicht zu gefährlich?“, fragte die Pflegedienstleiterin.
„Was er im Kopf hat, setzt er auch durch“, antwortete seine Frau, aus Erfahrung.
So war es – er gab nicht nach, bis das Gerät vor ihm stand. Er ließ sich hineinsetzen und begann im Haus und im Garten herum zu kurven. Bald fuhr er auch in den Ort. Und – baute prompt einen Unfall, stieß mit einem Auto zusammen. Das bekam ein paar Kratzer am Lack und er ein paar Schrammen im Gesicht und an den Armen.
„Wie kann man einen Menschen in diesem Zustand allein auf die Straße lassen!“, brummte der Polizist, der ihn ziemlich erstaunt zurückbrachte.
„Wir können ihn ja nicht einsperren!“, sagte die Pflegedienstleiterin.
„Wie ich ihn kenne, wird er bald wieder ausfahren“, seufzte seine Frau.
Mit Verbänden an Kopf und Armen blickte er aus dem Bett zu ihr empor und lachte und nickte.